Im Leistungssport ist der Zweitplatzierte der erste Verlierer. Der 11. Juli 2021 und der 27. Mai 2023 sind deshalb zwei Tage in der Karriere des Jude Bellingham, an denen er genau das war: Erster Verlierer.
2021 unterlag das damalige Supertalent von der Bank aus mit England im Heim-EM-Finale und 2023 wurde dem Mittelfeld-Star im BVB-Dress dramatisch noch die Meisterschaft entrissen. Doch dann kamen der 26. Mai 2024, der 1. Juni 2024 – und wer weiß, vielleicht wird der 30. Juni 2024 als Tag in die Geschichte eingehen, an dem Bellingham die ihm eingepflanzte Sieger-DNA weiterreichte.
“20,30 Sekunden später sind wir bei der EM ausgeschieden”, ließ der frisch gekürte “Spieler des Spiels” nach dem englischen Achtelfinal-Sieg gegen die Slowakei die entscheidende Szene Revue passieren. Aber sie schieden nicht aus. Weil Bellingham unter dem größtmöglichen Druck nicht nur cool blieb, sondern zu zaubern anfing.
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Per formschönem Fallrückzieher hievte er die Three Lions in die Verlängerung, in der Harry Kane wenig später das Siegtor gelang. Sicherlich, es wäre vermessen zu behaupten, dass Bellingham vor dem Ausgleich die Sterne vom Himmel spielte. Trotzdem machte er im entscheidenden Moment den Unterschied. Eine Fähigkeit, die er schon in seiner Debüt-Saison mit 16 (!) Jahren aufblitzen ließ, aber erst jüngst und auf allerhöchstem Niveau zur Routine machte.
Als der 21-Jährige im letztjährigen Sommer für knapp 100 Millionen Euro Ablöse zu Real Madrid wechselte, war daran nichts überraschend. Nicht die Ablösesumme und auch nicht der Schritt mit gerade einmal 20 Jahren. Bellingham war schon da längst gut genug und das Geld wert. Mit der dann folgenden Leistungsexplosion hatten wohl aber noch nicht mal die kühnsten Optimisten gerechnet.
23 Tore und elf Vorlagen gelangen dem Mann aus Stourbridge in Liga und Champions League. Dass er dabei oft auf der ungewohnten Position des Mittelstürmers auflief? Kein Problem. Real braucht ein spätes Tor im Clásico, um den Meistertitel klar zu machen? Bellingham liefert und lernt, was er jetzt womöglich weitergab.
Zunächst aber durfte Bellingham besagten 26. Mai sowie 1. Juni erleben und sich endlich als Sieger fühlen. Erst der Ligatitel und dann der CL-Sieg mit Real – ausgerechnet gegen die alte Liebe BVB. Mit dem Anspruch als Führungsspieler immer gewinnen zu können und auch zu müssen, kam die neue Nummer fünf der Madrilenen dann zur EM. Dazu im Gepäck: Die Erfahrung und Ruhe auch ganz spät im Spiel noch den richtigen Moment zu finden.
Als die Engländer dem Rückstand gegen die Slowakei am gestrigen Abend lange hinterherlief, war es dem späteren Kunstschützen anzusehen, wie unzufrieden er war. Immer wieder schimpfte er lautstark und wild gestikulierend über das lethargische Spiel seiner Mannschaft. Und dann kam tief in der Nachspielzeit das, was der 33-fache Nationalspieler später “einen der wichtigsten Momente meiner Karriere” nennen sollte.
Nur um danach gewohnt messerscharf-analytisch das Ganze zu relativieren. Schließlich sei sein Traumtor nur dann wichtig, wenn England am Ende Europameister werde. Damit sich für ein ganzes Land, aber auch für Bellingham persönlich, nicht dieser quälende Schmerz wiederholt – nämlich der erste Verlierer zu sein.