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Doch das war nur der Anfang eines besonders komplexen Betrugs. Hier erfährst du, was passiert ist.
12.10.2023, 16:4001.11.2023, 08:45
Sonntagnachmittag, etwa 14:30 Uhr: Auf meinem Handy erscheint eine Nachricht von einer unbekannten Nummer, die mir eine «flexible Position» anbietet. Schon wieder. Das ist die dritte Nachricht, die ich innerhalb weniger Tage erhalte. Und ich bin nicht der Einzige. Mehrere Personen in meinem Bekanntenkreis haben die gleiche Erfahrung gemacht, und auch der Polizei ist dies nicht entgangen: Die Berner Kantonspolizei rief letzte Woche zur Vorsicht vor solchen «betrügerischen Jobangeboten» auf.
Natürlich riecht das nach Betrug, aber es ist eine Nachricht zu viel: Ich bin neugierig und beschliesse zu antworten. Meine Gesprächspartnerin sagt, ihr Name sei Grace, sie schreibt mir (auf Französisch) mit einer amerikanischen oder kanadischen Nummer (die mit +1 beginnt) und behauptet, sie sei «Recruiterin bei Approach People Recruitment Schweiz».
Approach People Recruitment gibt es. Es handelt sich um eine Personalvermittlungsfirma, die laut ihrer Website tatsächlich in der Schweiz vertreten ist. Am Telefon versicherte mir das Unternehmen jedoch, dass sie nichts mit der fraglichen Nachricht zu tun hätte:
«Wir kontaktieren Bewerber nie über WhatsApp, Facebook, Instagram oder Linkedin»
«Das ist ein Betrug», sagte mir eine Mitarbeiterin. Ich hatte es schon vermutet, aber hiermit hat es sich bestätigt.
Sobald ich mein Interesse bekunde, wechselt Grace ins Englische. «Wir rekrutieren derzeit für eine Vielzahl von Unternehmen für verschiedene Rollen und Positionen an verschiedenen Orten in der Schweiz», erklärt sie ausweichend. Die Bewerber müssen «in der Lage sein, auf nglisch zu kommunizieren» (ja, sie hat «nglish» geschrieben), müssen 20 Jahre oder älter und «Schweizer Bürger» sein. Das Gehalt wird «von Tag zu Tag festgelegt» und muss «über eine lokale Bank empfangen werden». Fast alle diese Angaben werden sich als falsch erweisen.
Nachdem ich ihr eine positive Rückmeldung gegeben habe, teilt mir Grace mit, dass sich «die Personalabteilung» mit mir in Verbindung setzen werde. Dies geschieht eine halbe Stunde später per WhatsApp. Die zweite Person stellt sich mit einem weiblichen Vornamen vor, aber dieses Mal kommt die Nachricht von einer britischen Nummer (+44). «Hallo 🥰», schreibt sie mir auf Englisch. Und weiter:
«Hast du Zeit, ein paar Nachrichten auszutauschen?»
Sie bietet mir an, mir die Einzelheiten des «Jobs» zu erklären, was sie mit viel «Sir», «mein Lieber» und Emojis (🥰 und 😊 sind ihre Favoriten) tut. Sie reagiert extrem schnell und antwortet sofort auf meine Nachrichten. Meine Agentin, wie sie sich nennen wird, schreibt, dass «Fernjobs» nach der Pandemie populär geworden seien und «jederzeit und überall erledigt werden können». In einem etwas holprigem Englisch erklärt sie mir die Einzelheiten:
«Meine Agentin»
Was du im Rahmen dieser Arbeit tun musst, ist, bei der Bewertung von Apps zu helfen, die Beispiele für das sind, was du im Play Store oder App Store siehst. Die Arbeit besteht lediglich darin, die vom Entwickler veröffentlichten Apps zu aktualisieren.
«Meine Agentin»
Du wirst mit einer Plattform arbeiten, die wir dir zur Verfügung stellen werden, und ich werde dich anleiten 🥰
Ich
Wie ist der Name der Plattform?
«Meine Agentin»
AppMart mein Lieber 😊
Es ist noch etwas nebulös, aber ich werde bald erfahren, dass der «Job» darin besteht, Anwendungen zu bewerten, und zwar über eine Website namens AppMart. Eine Google-Suche nach diesem Begriff führt zu keinem Ergebnis.
Auch von Seiten der Polizei gab es keine Informationen: «Der Begriff ‹Appmart› sagt uns nichts Konkretes», bestätigte der Sprecher der Walliser Kantonspolizei, Gaëtan Lathion. Ähnlich klingt es bei seinen Kollegen in den Kantonen Waadt und Freiburg:
«Bisher wurde noch kein solcher Fall gemeldet.»
Die Bezahlung, von der meine Agentin spricht, klingt allerdings sehr verlockend: «Diese Arbeit dauert nur etwa eine Stunde pro Tag und du kannst dir deinen Gewinn auszahlen lassen», sagt sie. Der Lohn hängt von der Anzahl der aufeinanderfolgenden Tage ab, an denen ich meine Arbeit mache. Genauer gesagt:
«Meine Agentin»
Für 7 Tage kontinuierliche Arbeit: 388 Pfund
Für 15 Tage kontinuierliche Arbeit: 888 Pfund
Für 30 Tage kontinuierliche Arbeit: 1688 Pfund
Das sind etwa 431, 986 und 1879 Franken für ein paar Stunden Arbeit. «Passt das für dich?», fragt sie mich nach diesen Erklärungen.
«Yes».
Sie schickt mir dann einen Link, der mich angeblich zur AppMart-Plattform führen soll, und bittet mich, sie zu benachrichtigen, sobald ich mich registriert habe. Und dann die erste Überraschung. Die Seite gibt es wirklich und sie hat eine recht ordentliche Oberfläche. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, dass es sich um eine Tarnung handelt, einen Vorwand, um an meine Bankdaten zu gelangen und mir Geld zu entziehen. Langsam sieht es nach etwas Komplexerem aus.
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Die zweite Überraschung: Bevor mir meine Agentin erklärt, wie AppMart funktioniert, lädt sie mich ein, einer WhatsApp-Gruppe beizutreten.
«Falls du etwas nicht verstehst, kannst du mit den Gruppenmitgliedern diskutieren»
Die Mitglieder der Gruppe sind ihre anderen «Kunden». Es sind etwa 20 Personen, und im Gegensatz zu den Personen, mit denen ich bisher in Kontakt gekommen bin, machen sie den Eindruck, als wären sie «echte Menschen». Sie tauschen Tipps zum «Job» aus, bieten ihre Hilfe an, motivieren sich gegenseitig, teilen Bilder von ihren Mahlzeiten oder ihren Hunden.
Vor allem reden diese Leute über Geld. Das Geld, das sie mit AppMart verdient haben. Auf Screenshots zeigen sie die Beträge, die ihnen nach einer Arbeitsperiode ausgezahlt wurden. Alles deutet also darauf hin, dass sie tatsächlich bezahlt werden. Das bestätigen mir auch einige von ihnen, als ich sie privat kontaktiere und frage, ob sie schon einmal bezahlt wurden.
Ich werde bald den Beweis dafür erhalten. Ebenfalls über WhatsApp erklärt mir meine Agentin, wie AppMart funktioniert. Es ist ganz einfach: Auf der Website erscheint ein Pop-up-Fenster nach dem anderen. Jedes Pop-up zeigt den Namen und das Logo einer App sowie eine Bewertung. Meine Aufgabe ist es, jedes Mal eine Fünf-Sterne-Bewertung zu hinterlassen.
In den meisten Fällen handelt es sich um Videospiele für Smartphones, aber es gibt auch andere Apps, wie Kalender. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie nicht wirklich bekannt.
Eine der Apps, die ich bewertet habe. Kommt sie euch bekannt vor?bild: screenshot
Ein Arbeitszyklus besteht aus drei Runden zu je 35 Bewertungen. Ich mache nur eine davon, um ausgebildet zu werden. Dann kündigt mir meine Agentin zu meiner Überraschung an, dass sie mir erklären wird, wie ich das Geld abheben kann. Nachdem ich nur ein paar Minuten gearbeitet habe, werde ich schon bezahlt. 29 Pfund, um genau zu sein, das sind 32 Franken.
Dies geschieht über die App Wise, ein Unternehmen für internationale Geldüberweisungen. Um das Geld zu erhalten, muss ich zunächst eine Nachricht an eine andere Person schreiben, ebenfalls über WhatsApp. Meine «Agentin» gab mir die Nummer und ein paar Minuten später waren die 29 Pfund auf meinem Wise-Konto, überwiesen von einer Person mit einem russisch klingenden Namen.
Irgendetwas stimmt nicht. Eine Person, die sich als jemand anderes ausgibt, bietet mir über WhatsApp einen Job an, der auf äusserst seltsame Weise präsentiert wird. Aber es gibt diesen Job und man kann Geld dafür bekommen. Wo ist der Betrug?
Es könnte sein, dass diese Vergütungen nur ein Köder für Personen sind, die gerade erst angefangen haben. Schliesslich habe ich mein Experiment früh beendet, sodass ich nicht ausschliessen kann, ob später Probleme auftauchen. Nachrichten, die uns nach der Veröffentlichung dieses Artikels erreichten, scheinen diese Annahme zu bestätigen.
Die Personen, die uns kontaktiert haben, erzählen alle eine ähnliche Geschichte: Sie haben Nachrichten über Whatsapp oder Telegram erhalten, in denen ihnen ein einfacher und gut bezahlter Job angeboten wird. Das alles diene jedoch nur dazu, «Vertrauen aufzubauen», heisst es. Erst nach diesem ersten Schritt findet der Betrug statt. Auf unterschiedliche Weise werden die Opfer dazu gebracht, Geld einzuzahlen, das sie nie wieder zurückbekommen. Die Verluste belaufen sich auf Hunderte oder sogar Tausende von Franken.
Eine Sache ist sicher: «Vorsicht ist immer geboten, wenn Angebote offensichtlich aus dem Nichts kommen oder zu verlockend erscheinen», verkündet der Sprecher der Walliser Polizei. «Kein seriöses Stellenangebot basiert nur auf einem Kontakt über soziale Netzwerke oder Instant Messaging», bestätigt sein Freiburger Kollege, Martial Pugin.
Was soll man also tun, wenn man eine solche Nachricht erhält? «Der beste Rat, den man geben kann, ist, keinen Job von einer Person anzunehmen, die man nicht kennt oder die man nur online kennt», antwortet Florence Frei, Kommunikationsbeauftragte der Kantonspolizei Waadt.
«Da der Arbeitsmarkt so ist, wie er ist, wird diese Art von Angebot wahrscheinlich immer mit einem Betrug oder einer illegalen Aktivität verbunden sein»
Florence Frei, Kantonspolizei Waadt
Die Freiburger Polizei rät ihrerseits, «sich niemals auf eine Geldüberweisung oder die Weitergabe persönlicher Daten einzulassen, das Gespräch schnell abzubrechen und den Kontakt zu blockieren».
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