analyse
Anders als bei der EM vor drei Jahren hat Englands Coach Gareth Southgate diesmal beim Elfmeterschießen alles richtig gemacht. Er feierte am Samstagabend (06.07.2024) nach dem Sieg über die Schweiz aber nicht sich, sondern seine Mannschaft.
Der Stadion-DJ in der Düsseldorfer Arena hatte ein sehr gutes Gefühl für die Situation. Als nach 120 weitgehend unspektakulären Minuten zwischen der Schweiz und England das Elfmeterschießen anstand, legte er einen Queen-Klassiker auf, der das ganze Stadion beschallte: “Under Pressure”. Besser hätte man das in Bezug auf Gareth Southgate nicht treffen können. Der Druck war fühlbar.
Southgate hatte es nämlich wieder getan. Von den fünf Schützen, die er für den finalen Shootout im Viertelfinale nominierte, hatte er drei vorher eingewechselt: Cole Palmer, Ivan Toney und Trent Alexander-Arnold, Letzteren sogar erst in der 115. Minute, also quasi allein im Vorgriff auf dieses Elfmeterschießen.
Das erinnerte stark an das EM-Finale 2021 gegen Italien. Da hatte Southgate auf ganz ähnliche Weise Einfluss zu nehmen versucht, sogar noch etwas drastischer: In der letzten Minute der Verlängerung wechselte der England-Coach Marcus Rashford und Jadon Sancho ein, die er zuvor im Turnierverlauf fast komplett außen vor gelassen hatte.
Beide traten zum Elfmeter an, beide scheiterten kläglich. Als letzten Schützen meldete Southgate den damals 19-Jährigen Bukayo Saka, der ebenfalls nicht an Gianluigi Donnarumma vorbei kam – England verlor.
Erinnerungen an damals? Diesmal nicht zu sehen. Palmer verwandelte den ersten Elfmeter eiskalt, Toney den vierten, Alexander-Arnold den letzten. Auch Saka war wieder nominiert und hämmerte die Kugel ohne jeden Anflug von Zweifeln an Yann Sommer vorbei in die Maschen. England verwandelte alle fünf Versuche und gewann. Und Southgate konnte den Restabend genießen. Weitgehend jedenfalls.
Als ihn ein deutscher Journalist später darauf ansprach, dass seine Mannschaft im bisherigen Turnierverlauf ja noch gegen keinen “großen” Gegner hatte spielen müssen und ob damit der bislang fehlende spielerische Glanz zu tun habe, antwortete er: “Man merkt, dass Sie nicht aus England sind. Okay, wir würden uns manchmal vielleicht auch gerne mit etwas mehr Ruhm bekleckern. Aber das hier ist eine Nacht zum Genießen. Und das würde ich jetzt gerne weiter tun. Hier bei diesem Turnier sind andere Qualitäten gefragt, und die hat meine Mannschaft.”
Southgate erklärte dann auch noch im Detail, welche Qualitäten er meinte: “Mannschaften wie Frankreich spielen hier auch nicht ihren besten Fußball, sondern verteidigen überragend. Spanien hat sich gegen Deutschland angepasst und jede Menge Gelbe Karten kassiert, sie haben voll dagegengehalten. So machen wir es auch, wir sind widerstandfähig, wir sind total diszipliniert. Wir haben einen unglaublichen Charakter, und wir bleiben cool, auch weil wir aus 2021 gelernt haben.”
In der Tat hatte Southgate diesmal sehr viel richtig gemacht, auch wenn das wie in allen vier Spielen zuvor nicht besonders schön aussah. Er hatte in der Defensive tatsächlich mal variiert und ließ im Aufbau aus einer Dreierabwehr heraus agieren. Das führte dazu, dass die im Turnier bisher deutlich stärkere Schweiz kaum zu Torszenen kam.
Und nach dem 0:1-Rückstand reagierte er passend, seine Wechsel griffen. England bekam nochmal Oberwasser, glich aus, verdiente sich das Elfmeterschießen, wo dann alle drei Southgate-Joker trafen.
Beeindruckend auch: England war perfekt auf die Schweizer Schützen vorbereitet. Die fünf Namen fanden sich tatsächlich auf der Wasserflasche von Keeper Jordan Pickford wieder, die der sich vor jedem Elfmeter nochmal in aller Ruhe zu Gemüte führte.
Southgate dazu: “Ja, wir haben diesmal alles noch intensiver vorbereitet. Aber wir bleiben nicht stehen, wir haben hier noch viel vor. Wir standen jetzt in drei von vier großen Turnieren mindestens im Halbfinale, jetzt darf auch mal der ganz große Wurf her. Wir standen noch nie in einem Finale außerhalb Englands. Und wir waren noch nie Europameister.“
Dieses Schicksal teilt er mit seinem Kollegen Murat Yakin, der das bei dieser EM aber auch nicht mehr ändern kann.
Bei der nächsten aber vielleicht schon, am späten Abend in Düsseldorf sagte der Nati-Chefcoach zu seinem jetzt auslaufenden Vertrag: “Ich bin sehr offen für Gespräche mit dem Verband, es gibt bei mir bisher keine Verhandlungen mit irgendwelchen Klubs. Meine Mannschaft hat in diesem Turnier begeistert, und dass sich mein Kapitän Granit Xhaka trotz Faserriss hier gestellt hat, sagt alles. Wir sind eine große Einheit und haben etwas aufgebaut, das darf aus meiner Sicht auch gerne weitergehen.”