Londons Trafalgar Square Anfang Juni: Ein paar Tausend Baseball-Fans feiern eine Art Warm-up-Party für die beiden Spiele der US-Profiliga MLB, die am Wochenende in der britischen Hauptstadt zu Gast ist. In der Mitte des Platzes steht ein großer Käfig, in dem sich Baseball-Legenden im “Batten” messen, also dem Schlagen von Bällen.
Der Brite Jabesh Baskaran spielt seit drei Jahren selbst Baseball. Der 25-Jährige trägt eine rote Basecap, das weiße “P” vorne drauf steht für sein Lieblingsteam. Es sind die Philadelphia Phillies, aktuell das erfolgreichste Team der Major League Baseball.
Er sagt zu seiner Fan-Leidenschaft: “Je mehr Fernsehsendungen aus Amerika ich gesehen habe, desto mehr Baseball habe ich gesehen. Baseball ist eine gute Kombination aus Teamarbeit und individuellen Fähigkeiten. Wenn du auf dem Feld stehst, ist es ein Kollektiv, eine Einheit. Wenn du Schlagmann bist, musst du deine Leistung bringen. Die beteiligten Teams der Londoner Serie im letzten Jahr interessierten mich nicht. Aber dann erfuhr ich von den Phillies, und ich musste einfach dabei sein.”
Für umgerechnet etwa 240 Euro hat sich Baskaran Tickets für beide Spiele besorgt, ein stolzer Preis im Vergleich zu den rund 70 Euro, die man im Schnitt letzte Saison für ein Ticket in der Premier League bezahlen musste. Immerhin waren seine Anreisekosten vergleichsweise gering: Deutlich mehr als ein Drittel der Zuschauer sind laut der MLB aus dem Ausland angereist, mit Abstand die meisten von ihnen aus den USA.
So auch die 34-jährige New Yorkerin Mitzi, sie ist Fan der New York Mets. Für drei Nächte in London inklusive Tickets und Hotel hat sie etwa 2.000 Euro ausgegeben. “Ich bin zum allerersten Mal in London, ich war noch nie in Europa. Ich habe mich bis jetzt nicht mit britischen Baseball-Fans unterhalten. Vielleicht gibt es gar keine. Obwohl das ja der Sinn der Spiele ist, dass Leute sich unseren Sport ansehen. Ich glaube nicht, dass Briten sich für Baseball interessieren”, sagt die New Yorkerin.
Das stimmt so nicht ganz. Wenn man den Zahlen der MLB glaubt, hat sich die Zahl ihrer britischen Fans von 2019 bis 2022 sogar auf etwa zweieinhalb Millionen verdoppelt. 2019 bestritten die Boston Red Sox und Rekordmeister New York Yankees die erste von mittlerweile drei Serien in London.
Laut Ben Ladkin, Geschäftsführer der MLB Europe, versucht die Liga seit 2017, Fuß im europäischen Sportmarkt zu fassen. Die Marketingstrategie, so Ladkin, zielt darauf ab, die Kernmarke authentisch zu belassen und sich gleichzeitig an den Zielmarkt anzupassen.
Er betont: “Im Stadion haben wir Erklärungen auf den großen Leinwänden eingeblendet, bei TV-Übertragungen nehmen wir Kommentatoren, die das Spiel gut erklären können. So versuchen wir den britischen Fans die Möglichkeit zu geben, sich für das Spiel zu interessieren und es zu verstehen. Wir versuchen auch, einige britische Traditionen zu schaffen wie das Great British Mascot Race zwischen zwei Innings.”
Vorletztes Jahr erwirtschafteten die 30 Teams der MLB ca. 10 Milliarden US-Dollar Umsatz – Platz zwei weltweit hinter der National Football League (NFL), die satte 80 Prozent mehr Einnahmen vorweisen konnte. Und das, obwohl eine MLB-Saison neunmal so viele Spiele hat.
Während die NFL auf dem US-Markt noch in Sichtweite ist, ist sie in Europa der MLB mehrere Schritte voraus. Insgesamt 36 Spiele hat die NFL seit 2007 in London absolviert; auf dem Konto der MLB stehen nach dem letzten Wochenende gerade mal sechs.
Laut Sebastian Uhrich von der Sporthochschule Köln hat die MLB noch einen anderen Wettbewerbsnachteil: “Basketball und mittlerweile auch American Football stoßen hier auf ein wesentlich höheres Komsumkapital. Das heißt, es gibt bereits vergleichsweise viele Menschen, die diese Sportarten kennen, inklusive Regeln, Spieler, und so weiter. Das macht einen Riesenunterschied. Je besser ich einen Sport kenne, desto höher meine Konsumfreude und Wertschätzung für den Sport. Um sich in Europa erfolgreich zu vermarkten, muss die MLB erst mal Konsumenten mit solcher Expertise generieren.”
Eine weitere Herausforderung sieht Uhrich in der vergleichsweise noch spärlichen Grundlagenarbeit. Die sei unverzichtbar, um sich auf dem sporttechnisch “komplett gesättigten” europäischen Markt zu etablieren.
Trotz der heimischen Konkurrenz glaubt MLB Europe Geschäftsführer Ladkin daran, dass seine Liga in Europa weiter wachsen kann: “Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass es starke Überschneidungen zwischen den Fans der NFL und der NBA [Nordamerikanische Basketball-Profiliga, d. Red.] und den Fans der MLB gibt. Wenn jemand NFL- oder NBA-Fan ist, dann ist er auch reif für die MLB. Ähnliches gilt für Cricket-Fans.”
In Großbritannien spielen derzeit lediglich rund 5.000 Frauen und Männer Baseball und 15.000 Softball, vergleichbar mit den Zahlen für Volleyball im Land. Beim Softball wird der Ball im Gegensatz zu Baseball per Unterhandwurf gepitcht. Beide Sportarten sind seit den Spielen in Tokio wieder olympisch.
Eine der größten Herausforderungen ist laut John Boyd, CEO der britischen Entwicklungsorganisation für Baseball und Softball, die aufwendige Instandhaltung der Baseballfelder, wegen ihrer Form auch Diamonds genannt.
“Wir sind ein aufstrebender Sport, der mit anderen Sportarten wie Rugby um Gelder konkurriert. Die Spielfelder werden von Freiwilligen der Vereine gepflegt. Die Finanzierung ist eine ständige Herausforderung. Für eine Kleinballsportart wie unsere ist eine ebene Spielfläche entscheidend”, sagt John Boyd.
Gemessen am Interesse war die dritte Ausgabe der Londoner Serie jedenfalls kein durchschlagender Erfolg. Bei insgesamt 109.000 verkauften Tickets für die beiden Spiele blieb etwa jeder zehnte Sitzplatz unbesetzt. Bei ihrem ersten Spiel in Deutschland im vorletzten Jahr hätte die NFL angeblich eine dreiviertel Million Tickets verkaufen können.
Jabesh Baskaran, der Baseballspieler vom Trafalgar Square, zieht dennoch eine überwiegend positive Bilanz: “Ich bin immer noch aus dem Häuschen. Beide Spiele haben wirklich sehr viel Spaß gemacht. Ich habe die Spieler bis jetzt nur im Fernsehen gesehen. Ich wusste nicht, wie sie sich verhalten, wenn die Kamera nicht auf sie gerichtet ist. Wie sie fangen, wo sie stehen, wie sie miteinander kommunizieren. Das live zu erleben war großartig.”
Auf das nächste Baseball-Spektakel müssen europäische MLB-Fans bis 2026 warten. Für 2025 geplante Spiele in Paris wurden letzten November gestrichen. Laut Medienberichten konnte die Liga keinen Veranstalter finden und die Spiele wären finanziell nicht tragbar gewesen.
Die NBA wird hingegen im Januar zwei Spiele in der Olympiastadt abhalten. Und die NFL kehrt im Herbst mit drei Spielen in London und einem in München nach Europa zurück.