Wie die meisten anderen grossen europäischen Klubs war auch der FC Liverpool auf Promo-Tour. Er zeigte sich in Pittsburgh, Philadelphia und in North Carolina. Fernab der Heimat holte er den letzten Schliff für eine Saison, die ungeachtet der Resultate ein Wendepunkt wird, weil nicht mehr Jürgen Klopp, sondern Arne Slot auf der Trainerbank Platz nimmt. Es ist ein Sprung ins Ungewisse nach fast neun Jahren unter dem charismatischen Deutschen.
Am Sonntag beim 4:1 gegen den FC Sevilla zeigte sich der FC Liverpool erstmals unter Slot an der heimischen Anfield Road. Fast 60’000 Fans kamen, um den letzten öffentlichen Test zu sehen, bevor am kommenden Samstag für Liverpool die Premier-League-Saison beim Aufsteiger Ipswich beginnt. Die Spieler sind grösstenteils noch dieselben, der Fokus richtete sich deswegen vor allem auf den Trainer und dessen taktische Ausrichtung. Slot sei ruhiger als Klopp, erkannte «The Guardian» und das Spiel unter dem Neuen etwas mehr auf Kontrolle als auf Intensität ausgerichtet.
Im Grossen und Ganzen dürfte aber vieles ähnlich bleiben rund um das Team des FC Liverpool. Die früh gestartete Suche nach dem Nachfolger von Klopp war darauf ausgerichtet, einen ähnlichen Trainer wie den Deutschen zu finden. Nach der Absage von Xabi Alonso fiel die Wahl schon im April auf Arne Slot. Dieser empfahl sich durch seinen Offensivfussball, den er spielen lässt, und den Erfolgen in den drei Jahren bei Feyenoord Rotterdam.
Wie Klopp schaffte es Slot nach einer mittelmässigen Karriere als Spieler zum Erfolgstrainer. Als zentraler Mittelfeldspieler stand er mehrheitlich für den FC Zwolle auf dem Feld. Nach seinem Rücktritt arbeitete er sich vom Juniorentrainer und über diverse Assistenzposten bis zum Cheftrainer in Alkmaar und bei Feyenoord Rotterdam hoch. In der Hafenstadt machte er den bei seinem Amtsantritt finanziell und sportlich schlecht dastehenden Klub innerhalb kurzer Zeit wieder konkurrenzfähig. 2023 führte er Feyenoord zur Meisterschaft und in diesem Jahr zum Cupsieg.
«Wir wollen uns jeden Tag verbessern», gibt Slot auch in England als Vorgabe für die kommenden Monate aus. Er habe schon viel Positives gesehen in den Vorbereitungsspielen. «Aber ich kann auch eine lange Liste von Dingen zusammenstellen, die es noch zu verbessern gibt.» Das sei normal. Slot ist ein Perfektionist. Er lässt Laufwege einstudieren, archiviert auf seinem Laptop Taktiken von verschiedenen Trainern und sucht auch in anderen Sportarten nach Inspiration.
Beobachter heben hervor, dass Slot nicht nur gute Ideen hat, sondern sie auch vermitteln kann. Bei Feyenoord sorgte er für Leistungssprünge einiger Spieler. Anfang Juli wurde der 24-jährige Mats Wieffer für 30 Millionen Euro nach Brighton verkauft, nachdem er zwei Jahre zuvor für eine halbe Million vom Stadtrivalen Excelsior eingekauft worden war. In den letzten zwei Jahren konnten die Niederländer fast 150 Millionen Euro auf dem Transfermarkt einnehmen.
Unter schwierigen Umständen hat Slot Feyenoord wieder auf Kurs gebracht und drei Jahre lang geprägt. Bei Liverpool ist die Aufgabe auf den ersten Blick eher weniger knifflig als in Rotterdam, schliesslich übernimmt er ein gut funktionierendes Team, das letzte Saison in der Premier League den 3. Platz belegt hat. Es gibt aber einiges mehr zu verlieren für Slot in Liverpool als noch bei Feyenoord.
Der Druck ist beim 19-fachen englischen Meister an sich schon gross, aber durch den riesigen Schatten von Jürgen Klopp wird er noch eine Spur grösser. Wie schwierig es für einen Trainer ist, nach dem Ende einer erfolgreichen Ära einen Neuanfang zu initiieren, zeigte sich in den letzten Jahren bei Arsenal oder Manchester United. Unai Emery schaffte als Nachfolger von Arsenals Trainer-Ikone Arsène Wenger nur 15 Monate im Amt, David Moyes blieb nach dem Rücktritt von Alex Ferguson trotz Sechsjahresvertrag nur neun Monate auf der Trainerbank von Manchester United.
Dabei schienen beide Mannschaften wie Liverpool alles richtig gemacht zu haben. Emery glich vom Stil her seinem Vorgänger, Moyes erinnerte als Schotte und langjähriger Trainer von Everton an Ferguson. In England haben die Fussballfans diese Fehlbesetzungen nicht vergessen. Der Fokus wird noch eine Weile auf Arne Slot liegen, bis er in Liverpool mehr ist als bloss der Nachfolger von Jürgen Klopp.