Der Trump-Intimus und Online-Agitator Elon Musk versucht, mit wüsten Anschuldigungen und Gerüchten in Großbritannien Konflikte zu schüren.
Der britische Premierminister „ein Komplize bei der Vergewaltigung Großbritanniens“, seine Innen-Staatssekretärin eine „böse Hexe“, ein rechtsextremer Aufwiegler „ein politischer Gefangener“ – Multimilliardär Elon Musk sorgt seit Jahreswechsel mit Dutzenden polemischer Statements via X für Aufregung. Anlass ist ihm dazu ein Skandal um sexualisierte Gewalt an Minderjährigen. „Viele Jahre lang wurden viel zu viele Opfer im Stich gelassen“, räumte Premier Keir Starmer am Montag ein, fügte aber hinzu: „Wer Lügen und Fehlinformationen verbreitet, hat nicht das Interesse der Opfer im Blick.“
Worum geht es eigentlich?
Vor rund 15 Jahren häuften sich in einer Reihe nordenglischer Städte Hinweise auf Sexualverbrechen gegen Kinder und Jugendliche. Betroffen waren vor allem verarmte Ex-Industriestädte wie Oldham und Rochdale bei Manchester und Rotherham in Yorkshire. Dort leben seit den 60er Jahren große Einwanderergruppen vor allem aus Indien und Pakistan, meist in friedlicher Distanz zu allen anderen.
Zwar kommt sexualisierte Gewalt an Kindern in allen Teilen der Bevölkerung vor; die Erkenntnisse der Behörden förderten nun aber Gruppen asiatisch-stämmiger Männer zutage, deren Hunderte von Opfern fast ausschließlich Mädchen aus dem weißen Prekariat waren. Statt den zig Anzeigen energisch nachzugehen, geschah dann, was der frühere Labour-Abgeordnete von Rotherham, Denis MacShane, so zusammenfasst: „Man wollte das multikulturelle Boot nicht zum Kentern bringen.“ Jahrelang gingen die Verbrechen mehr oder weniger ungestört weiter, ehe die Ermittlungsbehörden eingriffen.
Warum geht Musk Starmer direkt an?
Der jetzige Premier diente von 2008 bis 2013 als Chefankläger von England und Wales. Als solcher habe er Verfahren mit verschleppt oder unterdrückt, lautet der Vorwurf. Der frühere Bezirksstaatsanwalt für Englands Nordwesten, der Muslim Nazir Afzal, berichtet dagegen, er sei von Starmer ermutigt worden, nicht nur aktuellen, sondern auch länger zurückliegenden Fällen nachzugehen. Dadurch seien „Tausende von Opfern angehört und Hunderte von Tätern vor Gericht gebracht“ worden.
Musk hat Starmer aber schon seit dessen Wahl im Juli im Visier. Nachdem ein 17-jähriger Schwarzer Ende Juli drei Weiße Mädchen erstochen hatte, kam es in England zu heftigen Krawallen. Der Milliardär redete einem „Bürgerkrieg“ das Wort und verurteilte das harte Vorgehen der Justiz gegen den überwiegend weißen Mob. Seither unterstützt er eine Online-Petition für Neuwahlen: Starmer müsse zurücktreten und gehöre „wegen des größten Massenverbrechens der britischen Geschichte“ vor Gericht gestellt. Wohlgemerkt, damit sind weder der Sklavenhandel noch der Imperialismus gemeint.
Woher bezieht Musk seine Informationen?
Das ist unklar. Im Dezember besuchte der Nationalpopulist Nigel Farage Musk in Donald Trumps flordianischem Anwesen. Anschließend schwärmte der Chef der Gruppierung Reform UK von dem Tech-Investor als einem „Helden“ und hielt Gerüchte am Köcheln, Musk wolle Reform UK bis zu 100 Millionen Dollar spenden. Am Sonntag freilich endete die Romanze: „Die Reform-Partei braucht einen neuen Vorsitzenden, Farage kann es nicht“, schrieb der X-Besitzer.
Die Kehrtwende dürfte an Farages scharfer Abgrenzung vom Rechtsextremisten Tommy Robinson liegen. Der mehrfach vorbestrafte Agitator verbüßt derzeit eine weitere Gefängnisstrafe. Musk erhebt den 42-Jährigen aber zu einem „politischen Gefangenen“, der „die Wahrheit gesagt“ habe über die Vertuschung von Sexualverbrechen durch „Fremde“.
Wie groß ist das Ausmaß des Skandals?
Eine Untersuchung unter Leitung der früheren Sozialarbeiterin, Professor Alexis Jay, konstatierte bereits 2014 in Bezug auf Rotherham: Es habe dort „nach vorsichtiger Schätzung“ zwischen 1997 und 2013 Straftaten an mindestens 1400 Minderjährigen gegeben; diese wurden missbraucht, „von mehreren Tätern vergewaltigt, in anderen Städten herumgereicht, entführt, geschlagen und eingeschüchtert“. In vielen Fällen seien Beweise unterdrückt oder ignoriert worden.
Einer zweiten Untersuchung durch Baroness Louise Casey zufolge drohten zwei Stadträte einem leitenden Polizeibeamten mit Krawall für den Fall, dass die Kripo asiatischen Taxifahrern auf den Zahn fühlt. In der Stadtverwaltung habe eine „ungesunde Atmosphäre von Einschüchterung, Sexismus und Unterdrückung unangenehmer Fakten“ geherrscht. Ähnliche Erkenntnisse förderten detaillierte Untersuchungen in Rochdale und im mittelenglischen Telford zutage.