Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Am Sonntag werden sich erneut Zehntausende englischer Fußball-Fans auf die Reise nach Gelsenkirchen begeben – und das, obwohl die Stadt wahrlich nicht der Lieblings-Spielort der Engländer ist. Der britische Sky-Reporter Kaveh Solhekol hatte vor dem ersten EM-Spiel der „Three Lions“ gegen Serbien am 16. Juni, ebenfalls in der Schalker Arena, fast schon eine Art Reisewarnung herausgegeben, da die Stadt so unattraktiv sei. Der Videblogger Paul Brown hatte Gelsenkirchen sogar als „absolute shithole“, als absolutes Drecksloch bezeichnet.
Genau dorthin verschlägt es die Engländer jedoch nun abermals – wegen des Achtelfinales gegen die Slowakei (18 Uhr/live ZDF und Magenta TV). Die Gelsenkirchener tun zumindest so, als ob sie sich auf die Rückkehr ihrer Gäste freuen. „Hey, football´s coming home…to#shitholeGELSEN. Enjoy!“ postete Olivier Kruschinski, der in Gelsenkirchen Touristen-Touren für Fußball-Fans anbietet.
Humor und Gelassenheit – dies sei das richtige Rezept für den Umgang mit den Engländern, findet auch die Stadtspitze. „Das war eine Einzelattacke eines Fans“, sagte Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge. Brown sei vor zwei Wochen verkatert und an einem spielfreien Tag angekommen, an dem in der Stadt tatsächlich wenig los gewesen sei. Mittlerweile ruderte Brown tatsächlich ein wenig zurück. Auch Frankfurt und Köln, die übrigen Spielorte der Engländer hätten ihre Schattenseiten. Außerdem finde er die Menschen in Gelsenkirchen sympathisch und die Kneipen gut, so Brown. Immerhin.
Bahn- und Nahverkehr stieß an seine Grenzen
In keiner guten Erinnerung sind den Fans aus dem Mutterland des Fußballs allerdings noch die massiven Probleme, mit denen sie zu kämpfen hatten – vor allem die Transportschwierigkeiten. Da viele Anhänger nicht direkt in Gelsenkirchen, sondern in den Nachbarstädten Essen und Bochum sowie in Düsseldorf übernachteten, stieß der Bahn- und Nahverkehr an seine Grenzen. Es kam bei der An- und Abreise zum Spiel zu langen Wartezeiten.
Einige Anhänger mussten nach Spielende bis zu zwei Stunden an der Arena in Gelsenkirchen ausharren, bis sie von einer der völlig überfüllten Straßenbahnen aufgenommen und zum Bahnhof gefahren werden konnten – um dort dann noch einmal bis zu drei Stunden auf einen Zug warten zu müssen. „Wir sind bestürzt, was die Fans in Gelsenkirchen durchmachen mussten. Es ist schlichtweg lächerlich, dass bei einem großen Turnier Fans drei Stunden nach Spielende am Gelsenkirchener Hauptbahnhof festsetzen“, schrieb die englische Fanbotschaft in einem Statement.
Die massive Kritik des Fan-Bündnisses und das verheerende Medienecho rief die Politik auf den Plan. „Die Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger müssen für die nächsten Spiele schnellstens nachsteuern“, sagte Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer.
Dies jedoch ist leichter gefordert als getan. Denn der Schienenverkehr im bevölkerungsreichsten Bundesland mit seinen vier EM-Standorten Köln, Düsseldorf, Dortmund und Gelsenkirchen, an denen insgesamt 20 Spiele ausgetragen werden, stößt an seine Grenzen. So wurden zwar die Taktungen von Regionalzügen und Straßenbahnen an den Spielorten deutlich erhöht, außerdem verkehrt eine „EM-Linie“ von Köln über Düsseldorf und Gelsenkirchen nach Dortmund.
Über 100 zusätzliche Busse
Doch den ursprünglich geplanten 24-Stunden-Service gibt es nicht. Das kommende Wochenende, wenn am Samstag in Dortmund Deutschland gegen Dänemark spielt, in Essen der AfD-Parteitag und eine Reihe von Großdemonstrationen stattfinden, sowie dem England-Spiel am Sonntag in Gelsenkirchen, wird für das Ruhrgebiet verkehrs- und sicherheitstechnisch eine Herausforderung.
Besonders schwierig ist die Situation in Gelsenkirchen. Um die Arena herum gibt es zwar eine große Anzahl von Parkplätzen – doch im Gegensatz zu den Schalker Heimspielen reisen die meisten EM-Fans mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Etwa 50.000 waren es beim England-Spiel gegen Serbien. Am Sonntag will die für Gelsenkirchen zuständige Verkehrsgesellschaft Bogestra versuchen, mit über 100 zusätzlichen Bussen für Entlastung zu sorgen.
Dazu soll es für die englischen Fans einen offiziellen EM-Fantreffpunkt am zentral gelegenen Heinrich-König-Platz geben. Beim Spiel gegen Serbien waren die Engländer noch aus Sicherheitsgründen auf der Trabrennbahn am Rande der Stadt zusammengezogen worden – was von den englischen Fan-Verbänden ebenfalls kritisiert worden war.
Die Gelsenkirchener versuchen alles, um den Engländern ihren zweiten Aufenthalt in der Stadt so angenehm wie möglich zu machen. Und nachtragend ist auch niemand. Olivier Kruschinski wirbt für seine Touren sogar mit einem speziellen Motto: „Liverpool oder London? Hauptsache Gelsenkirchen!“