Mitte Juni erfolgte tatsächlich, mit großem Pomp und prominenten Polit-Gästen, der Launch von GB News. Zwei Wochen später verschwand der 72-jährige Chairman von der Bildfläche mit der Begründung, er müsse „die Batterien aufladen“. Oder ging es doch um ganz anderes?
In sechs Neil-losen Wochen hat GB News zwar manche seiner technischen Kinderkrankheiten abgelegt, die den Perfektionisten Neil Augenzeugen zufolge teilweise „an den Rand der Tränen“ gebracht hatten. Von einem „Nachrichten“-Kanal aber kann noch weniger die Rede sein als zuvor. Immer deutlicher tritt vielmehr zutage: Für ihre bisher 60 Millionen Pfund (70,6 Mio. Euro) teure Investition wünscht sich die Gruppe exilierter Milliardäre, darunter Hedgefonds-Veteran Paul Marshall und die in Dubai beheimatete Investmentfirma Legatum von Christopher Chandler, ein Spiegelbild ihrer eigenen Ansichten: Brexit-begeistert, skeptisch bis feindselig gegenüber Klimakrise, Rassismus-Vorwürfen und Kapitalismus-Kritik.
Statt des Neil-Konzepts eines stark auf Regionalisierung setzenden, explizit gegen den Konsens der linksliberalen Londoner (Medien)-Elite gerichteten, aber seriösen Journalismus, also doch eine Art britischer Fox-News-Verschnitt, wie es Kritiker von Anfang an geargwöhnt hatten. Dafür sorgt der australische Geschäftsführer Angelos Frangopoulos – und Rechtspopulist Nigel Farage. Der Brexit-Vorkämpfer, 57, darf seit drei Wochen zur besten Sendezeit eine Stunde lang über böse Europäer, kriminelle Immigranten und durchgeknallte Linksradikale schwadronieren.
Die spektakuläre Personalie wurde kurz nach der schwersten Krise des Start-up bekannt. Diese entzündete sich an einer symbolischen Tabuverletzung des Moderators Guto Harri. Rund um den Erfolg der englischen Fußballmannschaft habe er noch mal über die schwelenden Rassismus-Probleme des Landes nachgedacht, berichtete der BBC-Veteran und frühere Sprecher des damaligen Londoner Bürgermeisters Boris Johnson dem Publikum. Anschließend sank Harri aufs Knie – in Solidarität mit den Fußballern, die diese Geste bis ins EM-Finale gezeigt hatten.
Das war denn doch der Meinungsvielfalt zu viel, fanden viele der überwiegend älteren, überwiegend weißen, überwiegend männlichen Zuschauer und boykottierten GB News. Eilfertig wurde Harri suspendiert, nahm später aus Protest seinen Hut mit der ätzenden Beobachtung, der Sender sei zur „absurden Parodie“ verkommen: Statt die Meinungsfreiheit zu verteidigen, werde nun „Cancel Culture“ von Rechtsaußen betrieben. Kurz darauf verließen auch Redaktionsleiter John McAndrew und seine Stellvertreterin Gill Penlington die Firma – alle drei genießen nicht nur den Respekt der Branche, sondern galten auch als Vertraute von Chairman Neil.
Dass der erzkonservative, dabei hochprofessionelle Schotte von sich aus das Brexit-Zugpferd Farage angeheuert hätte, darf getrost bezweifelt werden. Das Auftauchen des Rechtspopulisten konnte sich der Fernsehkritiker der Sunday Times nur damit erklären, dass dem Sender „so eine Art Armageddon“ ins Haus gestanden habe.
Immerhin entziehen sich manche Interviewpartner Farages Dampfwalzencharme. So mochte ein Weinimporteur keineswegs bestätigen, dass der EU-Austritt seine Ware billiger gemacht habe: „Er wird nur nicht teurer.“ An den Falschen geriet der einstige Ukip-Chef auch beim früheren Vorsitzenden der Liberaldemokraten. Der trank zwar – wie aufregend! – vor laufender Kamera ein Pint Bier mit seinem Gastgeber, qualifizierte aber das neue Handelsabkommen mit Australien als „Lappalie“ (chickenfeed) ab, sehr zu Farages Verdruss.
Dass der charismatische Politiker über eine treue Fangemeinde verfügt, beweisen die Einschaltquoten: „Farage“ kommt mit munterer Polemik auf mehr als doppelt so viele Zuschauer wie die Konkurrenz von BBC News und Sky News, die dem Publikum dröge Nachrichten zumuten. Von Andrew Neil war zuletzt zu hören, er werde „im September“ ins Studio zurückkehren. Wetten sollte man nicht darauf.