Felix Zwayer ist von der UEFA als Schiedsrichter des EM-Halbfinales zwischen den Niederlanden und England eingeteilt worden. Eine Entscheidung, für die man nur Kopfschütteln übrig haben kann. Ein Kommentar.
Von Chris Lugert
Felix Zwayer ist mal wieder in aller Munde. Der 43-Jährige dürfte es gewohnt sein, schließlich ist kaum ein Schiedsrichter in Deutschland so umstritten wie der Berliner. Diskussionen gibt es bei seinem Namen bereits, bevor der 43-Jährige seine Spiele überhaupt angepfiffen hat.
So auch bei der EM, bei der Zwayer das Halbfinale zwischen den Niederlanden und England am Mittwochabend (ab 21:00 Uhr im Liveticker) leiten soll. Eigentlich eine große Ehre und ein riesiger Vertrauensbeweis zugleich, doch diese Entscheidung der UEFA lässt den neutralen Beobachter ratlos zurück.
Denn auch bis in die UEFA-Zentrale nach Nyon sollte sich herumgesprochen haben, was im Dezember 2021 beim Bundesliga-Topspiel in Deutschland zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München passiert ist.
Damals leitete Zwayer eine hochemotionale Partie und hatte mit seinen Entscheidungen maßgeblichen Anteil daran, dass die Bayern als Sieger vom Platz gingen. Während er dem BVB einen möglichen Elfmeter nach vermeintlichem Foulspiel an Marco Reus verweigerte, gab er auf der Gegenseite nach Handspiel von Mats Hummels direkt Strafstoß.
Aus nächster Nähe verfolgte auch der damals 18-jährige Jude Bellingham das Geschehen, denn er stand für die Dortmunder auf dem Platz. Und ließ sich danach zu einer explosiven Aussage hinreißen. “Man gibt einem Schiedsrichter, der schon mal Spiele verschoben hat, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest du?”, polterte er im Interview mit “Viaplay”.
Gemeint war natürlich Zwayer, der 2005 in den Manipulationsskandal um Robert Hoyzer verwickelt war. Zwayer war damals Hoyzers Assistent und soll laut Akten ebenfalls Bestechungsgeld angenommen haben. Eine tatsächliche Manipulation konnte ihm allerdings nicht nachgewiesen werden. Er selbst bestritt mehrfach, jemals Geld angenommen zu haben.
Während Hoyzer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und lebenslang gesperrt wurde, durfte Zwayer nach einer sechsmonatigen Sperre wieder Spiele pfeifen und arbeitete sich in den Folgejahren über die 2. und 1. Bundesliga bis auf die internationale Bühne hoch.
Juristisch ist Zwayer längst sauber, das muss deutlich unterstrichen werden. Es gibt abseits seiner sportlichen Leistungen keine Grundlage, über seine Einsätze oder eben Nicht-Einsätze zu entscheiden. Und doch ist es mit Blick auf das, was damals in Dortmund mit Bellingham passiert ist, fragwürdig, warum die UEFA ausgerechnet ihn mit diesem so wichtigen England-Spiel betraut und diese Angriffsfläche bietet.
Denn die Aussage des England-Stars schlug extrem hohe Wellen. Bellingham wurde zu einer Geldstrafe von 40.000 Euro verurteilt, Zwayer erhielt Morddrohungen und wurde kurzzeitig aus dem Verkehr gezogen und pfiff seither keine BVB-Spiele mehr. Zu einer Aussprache zwischen ihm und Bellingham kam es nie.
Nun sind mehr als zweieinhalb Jahre seit dem Vorfall vergangen, doch dieses Politikum hätte sich die UEFA einfach sparen können. Es gibt genug Schiedsrichter, die für das Spiel infrage gekommen wären. Der Schwede Glenn Nyberg etwa, der bei seinen drei EM-Einsätzen einen soliden Eindruck machte. Gleiches gilt für den Franzosen Francois Letexier oder den Polen Szymon Marciniak. Alle drei pfiffen – wie Zwayer – zuletzt im Achtelfinale, könnten also problemlos wieder eingreifen.
Welche Kriterien letztlich für Zwayer gesprochen haben, ist schwierig zu sagen. Fakt ist: Der Deutsche verfügt über weitaus mehr Erfahrung als etwa Nyberg und Letexier, die beide jeweils acht Jahre jünger sind als Zwayer. Gut möglich, dass intern auch bereits die Entscheidung gefallen ist, Marciniak das EM-Finale zu geben.
Was auch immer die Beweggründe gewesen sein mögen: Schon jetzt ist die Ansetzung von Zwayer Thema in England. Die Folge: Jede Entscheidung des Referees wird noch genauer begutachtet. Vor allem, sollte Bellingham selbst in strittige Situationen verwickelt sein. Ein Beigeschmack scheint vorprogrammiert – und das völlig unnötigerweise.
Doch noch ein anderer Punkt beschäftigt die Insel. Schließlich war es der Engländer Anthony Taylor, der mit seiner strittigen Handspiel-Entscheidung das deutsche Ausscheiden gegen Spanien zumindest zu einem gewissen Teil mit besiegelte. Jetzt ausgerechnet einen Deutschen für das England-Spiel auszuwählen, ist mindestens unglücklich. Und wie man gewisse Boulevard-Medien in England kennt, dürften Verschwörungstheorien über Rachepläne nicht weit sein.
Englands Nationalspieler Luke Shaw erklärte, man müsse “die UEFA respektieren, egal, wen sie als Schiedsrichter auswählt”. Mit Blick auf die Vorgeschichte um Bellingham sagte er, dass man als Spieler “in der Hitze des Gefechts” manchmal wütend werde und sich benachteiligt fühle: “Wir müssen einfach bereit sein und uns nicht darauf konzentrieren.”
Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe, der den Wettskandal 2005 mit aufgedeckt hatte und sich seitdem immer wieder mit Zwayer gerieben hat, kritisierte die UEFA für ihre Wahl deutlich. “Verantwortungslos allen gegenüber. Nur eine Machtdemonstration nach außen und innen – unabhängig von Leistung/Vergangenheit. Wahnsinn”, schrieb er bei “X”.
Bleibt zu hoffen, dass das Spiel reibungslos über die Bühne geht. Es wäre im Sinne aller Beteiligten: der Teams, von Zwayer selbst – und auch der UEFA, die dieses Theater selbst erst heraufbeschworen hat. Dass das Spiel ausgerechnet in Dortmund stattfindet und Zwayers erste Rückkehr an den Schicksalsort bedeutet, ist die Sahne auf dem bitter schmeckenden Kuchen.