Die Null steht weiterhin: Harry Kane muss weiter auf den ersten Titel seiner Karriere warten. Auch seine Leistung war bei weitem zu wenig, um Europameister zu werden.
Als Harry Kane 337 Tage vor dem EM-Finale offiziell als Neuzugang des FC Bayern München vorgestellt wurde, war allen klar: Die Karriere des Ausnahmestürmers wird nicht mehr länger als höchstens ein paar Monate titellos bleiben. Doch dann passierte das, woran in Deutschland wohl kein Fußballinteressierter mehr geglaubt hatte.
Die Bayern scheiterten erst im Super Cup, dann frühzeitig im DFB-Pokal, die Meisterschaft war weit vor Saisonschluss nicht mehr möglich und in der Champions League beendete Real Madrid den letzten Titeltraum. München holte erstmals nach zwölf Jahren keinen einzigen “Pott”.
Kane und Titelgewinne – das ist in seiner gesamten Karriere eine Sisyphusarbeit. So oft kämpfte sich der 30-Jährige bis kurz vor den Gipfel, um dann doch noch abzurutschen, um wieder von vorne loslegen zu müssen.
Zehn Jahre lang hatte es Kane mit den Tottenham Hotspur (280 Tore in 435 Pflichtspielen) vergeblich versucht, in der vergangenen Saison mit dem FC Bayern (in 45 Einsätzen 44 Treffer) und seit 2015 mit der englischen Nationalmannschaft, für die er vor dem Finale gegen Spanien am Sonntag (14.07.2024) in 97 Spielen 66-mal getroffen hatte.
Die Gesamtbilanz vor der Partie, die seine lange Titel-Leidenszeit beenden sollte: 577 Einsätze als Profi, 390 Tore hatte er erzielt, er wurde dreimal Torschützenkönig in der Premier League, in der vergangenen Saison in der Bundesliga und Champions League, bei der WM 2018 war er ebenfalls bester Torjäger. Das alles hätte er für seine Titel-Premiere eingetauscht, hatte Kane im Finalvorfeld zugegeben. “Dafür würde ich alles hergeben”, sagte er.
Ein persönlicher Erfolg war das Finale dann keineswegs. Eine Stunde lang spielte Kane, er hatte nur elf Ballkontakte, gewann lediglich 18 Prozent seiner Zweikämpfe, hatte einen abgeblockten Torschuss und sah früh die Gelbe Karte. Dann nahm ihn Gareth Southgate raus und brachte Ollie Watkins – er wiederholte also den Wechsel, der zum Weiterkommen im Halbfinale gegen die Niederlande (2:1) gesorgt hatte.
Kane hatte seinen ersten Titelgewinn nicht mehr selbst in der Hand und brauchte nun mehr denn je seine Kollegen. Jahrelang hatten sie ihm assistiert, um eine enorme Menge an Toren zu erzielen – jetzt mussten sie ihm die Pokal-Premiere bescheren. Und tatsächlich durfte Kane auf der Bank jubeln, als Cole Palmer zwischenzeitlich ausglich und England die Hoffnung gab, auch im vierten K.o.-Spiel dieser EM nach einem Rückstand zurückzukommen.
Doch Spanien hatte das gleiche Selbstvertrauen wie im Viertelfinale gegen Deutschland, ließ sich vom Ausgleich nicht beirren und kam zurück. Mikel Oyarzabal schoss das Tor zum EM-Titel für die Spanier – und Kane war mal wieder der Verlierer. Diesmal auf der Bank, sein Blick aber ebenso leer wie vor drei Jahren, als er mit England das Endspiel gegen Italien verloren hatte.
“Man kann gar nicht in Worte fassen, wie wir uns gerade fühlen. Wir hatten in der zweiten Halbzeit das Gefühl, das Momentum auf unserer Seite zu haben, aber dann ist eben passiert, was passiert ist”, sagte der Kapitän der “Three Lions”. “Wenn die Chance kommt, musst du sie ergreifen, und es ist sehr schmerzhaft, dass uns das nicht gelungen ist.” Der Top-Stürmer bleibt titellos – das ist das Leben des Kane.