Randale in Großbritannien:Neue eskalierende Gewalt – und neue Fake News
von Yacin Hehrlein und Oliver Klein
Nach dem tödlichen Messerangriff auf Kinder in England eskaliert weiter die Gewalt, befeuert durch Fake News im Netz. Ein Prinzip, vor dem Experten andere Länder in Europa warnen.
Als Reaktion auf die Ausschreitungen Rechtsradikaler hat die britische Regierung 6.000 Spezialkräfte mobilisiert. Soziale Medien befeuern die Ausschreitungen. 06.08.2024 | 1:44 min
Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Bei neuen rechtsradikalen Ausschreitungen sind in der südenglischen Stadt Plymouth mehrere Polizisten verletzt worden. Es kam auch zu heftigen Zusammenstößen mit Gegendemonstranten.
Ein Reporter des Senders Sky News sprach von großer Gewalt, es sei schwer, die gegnerischen Gruppen auseinanderzuhalten. Erst am Wochenende hatte eine Gruppe von Rechtsextremen versucht, ein offenbar als Asylunterkunft genutztes Hotel im nordenglischen Rotherham zu stürmen.
Es wurden “zum Teil auch Hotels abgefackelt”. Diese “neue Qualität” der Proteste habe man “in Großbritannien bisher noch nicht gesehen”, berichtet Rechtsextremismus-Experte Prof. Peter Neumann.06.08.2024 | 4:51 min
Messerattacke von Southport
Seit der grausamen Messerattacke von Southport, bei der drei junge Mädchen getötet und acht weitere Kinder und zwei Erwachsene zum Teil schwer verletzt wurden, kursieren weiter Falschinformationen im Netz, die die ohnehin angespannte Stimmung weiter anheizen.
Zunächst ließ die Behauptung, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen muslimischen Asylsuchenden handele, die Gewalt in vielen Städten eskalieren. Die Polizei betont, der verdächtige 17-Jährige sei in Großbritannien geboren worden, seine Eltern stammen aus Ruanda – einem Land, in dem rund 80 Prozent der Bevölkerung Christen und nur fünf Prozent Muslime sind.
In Sunderland im Nordosten Englands kam es am Samstag zu mehreren Festnahmen.03.08.2024 | 1:22 min
Fake News um Gegenangriffe durch Migranten
In sozialen Netzwerken kursieren einerseits authentische Videos und Fotos, die Gewalt und Gegengewalt zeigen. Unter anderem ist zu sehen, wie in Birmingham eine Gruppe mutmaßlicher Migranten auf einen Mann vor einem Pub eintritt.
Dazu werden teilweise aber auch weiterhin Falschbehauptungen verbreitet: In Stoke-on-Trent in Zentralengland sollen Migranten einen blutigen Angriff auf zwei Briten verübt haben. Die beiden Männer seien “von einer mit Hämmern und Äxten bewaffneten Gruppe” angegriffen worden, schreibt der reichweitenstarke Account “Visegrad24” bei X, dem früheren Twitter – ohne jedoch Belege zu nennen. Andere Accounts schreiben von Messerstechereien.
Nur das Foto eines verletzten Mannes wird gepostet, der blutend am Boden liegt. Polizisten sind über ihn gebeugt und leisten Erste Hilfe. Ein weiteres Video zeigt einen Mann mit freiem Oberkörper am Straßenrand sitzend, der heftig am Ohr und aus der Nase blutet.
Ausschreitungen in Großbritannien: Ein Mann liegt verletzt am Boden – die Polizei dementiert jedoch einen behaupteten Angriff mit Hämmern oder Äxten.
Quelle: X/Visegrad24
Polizei wendet sich gegen Spekulationen in Social Media
ZDFheute konnte das Bildmaterial verifizieren, es stammt tatsächlich aus Stoke-on-Trent. Die Verletzten sind in mehreren Videos zu sehen. Die Polizei der Grafschaft Staffordshire dementiert jedoch in einer Pressemitteilung einen Angriff mit Stichwaffen und wendet sich explizit gegen “falsche Behauptungen” und “Spekulationen” in sozialen Netzwerken:
Die Verletzungen seien nicht schwerwiegend, heißt es. Für Stichwaffenangriffe gebe es keine Hinweise.
Trotzdem verbreitet sich das Gerücht im Netz, selbst deutschsprachige Nachrichtenseiten berichten: “Migranten jagen in England Demonstranten mit Axt und Messer”, titelt beispielsweise das österreichische Boulevard-Onlinemedium “Express”, ähnlich wie das Portal “Nius”.
Nach einer Mahnwache für die drei getöteten Mädchen war es schon am Mittwoch in Southport zu Ausschreitungen von Rechtsextremen gekommen. 39 Polizisten wurden laut Rettungsdiensten verletzt.31.07.2024 | 0:21 min
Experte besorgt über Desinformationskampagne
Der Politikwissenschaftler Peter Neumann vom King’s College in London zeigt sich besorgt über diese Entwicklung:
Neumann analysierte in einem Blogbeitrag die Art und Weise, wie sich die Falschmeldungen verbreiteten und Menschen zu Randale anstachelten. Demnach hätten soziale Medien – allen voran X, TikTok und Telegram – eine zentrale Rolle gespielt, zusammen mit Influencern, Aktivisten und privaten Social-Media-Nutzern, die Videos online stellten. Fake News ließen sich demnach teils auch nach Russland zurückverfolgen.
Großbritannien als Vorbild für weitere Unruhen?
Nach diesem Prinzip lasse sich eine Art “Drehbuch” erstellen, mit dem Rechtsextreme auch in anderen Ländern – beispielsweise in Deutschland – soziale Unruhen anstacheln könnten, erklärt Neumann im Morgenmagazin des ZDF. Allerdings: Hierzulande gebe es nicht die reichweitenstarken, rechtsextremen Influencer wie in Großbritannien.
Fake News sind eine “Gefährdung für unsere Demokratie”, sagt Annkatrin Kaiser von der Medienkompetenz-Initiative “Lie Detectors”. Auch mit Bildmanipulation wird “politisch manipuliert”. Wie erkennt man Fake News?14.05.2024 | 6:00 min
Die britische Regierung will nun die Social-Media-Konzerne verstärkt in die Pflicht nehmen, um die Verbreitung von Fehlinformationen und Hetze zu stoppen. Technologieminister Peter Kyle verlangte nach einem Treffen mit Vertretern von TikTok, dem Facebook-Mutterkonzern Meta, Google und X: “Es sind enorme Mengen an Inhalten im Umlauf, mit denen die Plattformen schnell umgehen müssen.”
Gerichte können 24 Stunden täglich Urteile fällen
Die Regierung will auch gegen die Randalierer selbst härter vorgehen. Sie erteilte Gerichten Sonder-Befugnisse, bis zu 24 Stunden am Tag zu verhandeln, um die bei den Ausschreitungen Festgenommenen zu verurteilen.
Allerdings leidet Großbritannien unter überfüllten Gefängnissen: In England und Wales sind sie zu 98,5 Prozent ausgelastet. Das Justizministerium hat angekündigt, kurzfristig weitere 500 Gefängnisplätze zur Verfügung zu stellen. Bisher wurden kanpp 400 Menschen festgenommen. Premierminister Keir Starmer erklärte, dass sie die “volle Macht des Gesetzes” zu spüren bekommen werden.
Quelle: ZDF
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