Die New England Patriots starten in der kommenden NFL-Saison einen Neuanfang mit quasi-neuem Regime und einem neuen Quarterback. Sind sie wirklich schon soweit, die verkorksten letzten Jahre hinter sich zu lassen und wieder anzugreifen?
Der Fokus der Patriots-Offseason lag darauf, sich von Bill Belichick zu distanzieren. Von der fragwürdigen Apple-TV-Plus-Dokumentation, die viele Spieler diskreditiert hat bis hin zum belastenden “ESPN”-Bericht, der Owner Robert Kraft vorwarf, Belichicks Anstellung bei den Atlanta Falcons torpediert zu haben – Kraft ließ via Sprecher dementieren – war das Motto klar: Diese Organisation kann auch ohne Belichick.
Was folgte, war jedoch eine Offseason, die nicht wahnsinnig viel anders verlief als es unter Belichick gelaufen wäre. In der Free Agency hielt man sich bis auf den gescheiterten Versuch, Calvin Ridley zu verpflichten, vornehm zurück und beschränkte sich weitestgehend darauf, Verträge von Eigengewächsen zu verlängern. Und im Draft zeigte sich dann einmal mehr die Vorliebe, für Positionen, auf denen Bedarf besteht, zu “reachen”, Spieler also teils übertrieben zu früh zu ziehen gemäß der allgemeinen Draft-Prognosen.
Der einzige Unterschied zu früher könnte nach erstem Eindruck sein, dass man dieses Mal ein verhältnismäßig gutes Händchen in Sachen Wide Receivern im Draft an den Tag gelegt haben könnte. Jedenfalls ist der Konsens, dass gerade Viertrundenpick Javon Baker womöglich sogar ein Steal sein könnte – Zweitrundenpick Ja’Lynn Polk hat ebenfalls das Potenzial, ein wichtiger Part der Offense zu werden. Und einen Drake Maye hätte Belichick wohl auch nicht unbedingt geholt.
Am Ende stellt sich aber die Frage, ob das schon reicht, um dieses Team wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Die größte Baustelle, die noch übrig bleibt, ist die Offensive Line. Und hier fehlt allen voran ein Left Tackle. Laut Quasi-General-Manager Eliot Wolf ist der Coaching Staff um den neuen Offensive Coordinator Alex Van Pelt jedoch der Meinung, dass man Drittrundenpick Caedan Wallace zu einem solchen umfunktionieren könne. Zudem hält man offenbar viel von Ex-Steeler Chukwuma Okorafor, der aber auch eher auf der rechten Seite zu Hause ist.
Hört man sich nun unter den Fans des Teams um, scheinen solche Bedenken aber keine große Rolle zu spielen. Auch die vernünftigen Stimmen, die bis zum Draft Day noch gelassen davon ausgegangen waren, dass Maye, der neue Franchise-Quarterback, noch relativ roh sei und daher erstmal auf der Bank Platz nehmen sollte, sind mittlerweile leiser geworden. Die Rufe nach Maye von Woche 1 an werden lauter, obwohl er noch nicht mal auf dem Trainingsplatz stand.
Mayes Entwicklung wiederum sollte nun schon aufgrund der vergangenen drei Jahre und der verkorksten Weiterentwicklung von Mac Jones über allem stehen. Und wenn dies bedeutet, dass er zunächst draußen sitzt hinter Jacoby Brissett, der genau für diesen Fall geholt wurde, dann sollte man das auch in Kauf nehmen. Wie genau man gedenkt, Mayes Entwicklung voranzutreiben, sickerte indes mittlerweile durch.
Neben Van Pelt und Quarterbacks Coach T.C. McCartney soll kein geringerer als Ben McAdoo, der Senior Offensive Assistant des Teams, eng mit Maye zusammenarbeiten. Das erzählte der “NFL Network”-Reporter Cameron Wolfe jüngst im Podcast “Patriots Daily”: “Eine Sache, die mir Jerod Mayo und mehrere andere Leute gesagt haben, ist, dass Ben McAdoo eine riesige Rolle für Drake Maye spielen wird.”
“Sie stellten ihn für einen bestimmten Grund ein. Sie denken, dass er ein Quarterback-Gelehrter ist. Er ist ein früherer Head Coach und es gibt diesen Gedanken, dass er Drake Maye entwickeln kann. Ich sage nicht, dass er eine größere Rolle als Alex Van Pelt haben wird. Aber ich würde sagen, dass Ben McAdoo eine wirklich maßgebliche Rolle in der Entwicklung von Drake Maye haben wird”, sagte Wolfe.
Ob das nun eine gute Nachricht ist, darf aber zumindest mal bezweifelt werden. McAdoo, dessen Vorliebe für riesige Playsheets Quelle für mehrere Internet-Memes ist, war einst als Head Coach der New York Giants krachend gescheitert. Neben anderen Posten versuchte er sich als Quarterbacks Coach der Jaguars 2020 und als Offensive Coordinator der Panthers 2022. All diese Jahre waren keine Sternstunden für Offensiv-Football. Immerhin: Von 2012 bis 2013 trainierte er keinen geringeren als Aaron Rodgers als QB Coach der Packers. Jener hatte immerhin 2012 eines seiner besten Jahre in der Liga. Allerdings war er da schon der Aaron Rodgers und bedurfte keiner grundlegenden Entwicklung mehr.
Und dann wäre da natürlich noch die Defense, die in den vergangenen Jahren durchaus gute Leistungen zeigte und im vergangenen Jahr trotz zahlreicher Ausfälle den Schaden noch begrenzte. Bis auf die Defensive Backs Jalen Mills und Myles Bryant sind alle Leistungsträger geblieben, jedoch muss man bedenken, dass Defenses in der NFL in der Regel nicht über mehrere Jahre dominant bleiben. Bei den Patriots kommt hinzu, dass Belichick, der stark in diese Unit involviert war, nicht mehr das Zepter schwingt und keiner weiß, ob sein Nachfolger Jerod Mayo zusammen mit Defensive Coordinator DeMarcus Covington diese Lücke wird schließen können. Und: Play-Caller Stephen Belichick coacht nun in Washington.
Im Vorjahr gewann dieses Team mit überschaubarer Offense ganze vier Spiele. Seither wurde die Offense zumindest punktuell aufgerüstet, weißt jedoch immer noch größere Lücken auf, während defensiv vermutlich der wichtigste Kopf nicht mehr im Gebäude ist. Einfach davon auszugehen, dass jetzt alles besser wird, erscheint daher gerade so kurz nach dem Draft eher abwegig. Bevor es wirklich wieder aufwärts geht, scheint vielmehr noch ein langer Weg vor diesem Team zu liegen.
Marcus Blumberg