Das Security-Personal in den dunklen Anzügen versucht in Lücken vorzustoßen, die sich ebenso schnell auftun, wie sie wieder verschwinden. Ein leichtes Tippen auf die Schulter: „Excuse me, Sir!“ Doch freundliche Bitten und eine Uniform helfen beim wichtigsten Tennisturnier der Welt nur bedingt in der ersten Woche. Im Gedränge gibt es kaum ein Durchkommen. Spieler, die auf einem der Außenplätze antreten sollen, stecken schwer beladen mit zwei Tennistaschen fest. Die Anlage in Wimbledon mag vielleicht die Schönste sein, doch sie ist eben auch das: viel zu klein für all die Menschen, die Tag für Tag kommen.
Das ist ein Problem für die Zuschauer, die Spieler, aber vor allem auch für das Turnier, das problemlos noch mehr Tickets verkaufen könnte. In der berühmten Schlange im Wimbledon Park stehen an manchen Tagen bis zu Zehntausend Menschen an, um noch an Eintrittskarten zu kommen. Der All England Lawn Tennis Club (AELTC) will deshalb expandieren. Die Pläne dafür liegen schon lange in der Schublade. Auf dem Gelände eines ehemaligen Golfplatzes, gegenüber vom Centre Court auf der anderen Straßenseite der Church Road, sollen 39 Courts und ein Stadion für 8000 Zuschauer entstehen. Die Fläche des Klubs würde dann 46 statt 17 Hektar betragen. Doch gegen dieses Vorhaben gibt es großen Widerstand.
Vor allem Anwohner, die sich zum Bündnis „Save Wimbledon Park“ zusammengeschlossen haben, kämpfen nun schon seit Jahren dagegen. 800 Bäume müssten weichen, steht auf Protestbannern, an denen jeder Besucher vorbeimuss, der sich der Anlage von der Church Road aus nähert. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Lokalposse, wie sie sich in jedem beliebigen Städtchen ereignen könnte. Doch in Wimbledon geht es auch um die Frage, wie weit das Bestreben nach scheinbar grenzenloser Profitmaximierung im Sport gehen darf – und welche Folgen es hat.
Es gibt keine öffentlich einsehbaren Zahlen, wie viel die Grand-Slam-Veranstalter mit ihren Turnieren verdienen. Doch am Preisgeld kann man ablesen, dass so ein Turnier ein ziemlich lukratives Geschäft sein muss. In diesem Jahr wurden die Prämien auf 50 Millionen Pfund (rund 59,16 Millionen Euro) angehoben, das ist ein Sprung von fast zwölf Prozent.
Die großen Turniere befinden sich untereinander im Wettstreit. Spieler, Trainer, Mitarbeiter und Zuschauer sollen sich wohl fühlen. Wer weniger zu bieten hat, wird abgehängt. Es geht auch um das Erlebnis abseits vom Tennis. Und das ist in Wimbledon nicht immer optimal. Auch nach den Begegnungen am Abend gibt es regelmäßig Stau, wenn die Zuschauer von den großen Plätzen strömen und die Anlage zu Fuß zur U-Bahn-Station Southfields verlassen, weil an einer Kreuzung abwechselnd Autos und Menschen durchgelassen werden. Das kann schon mal 25 Minuten dauern – und zählt nicht zu den Aspekten, mit denen man sich von anderen Turnieren abheben will.
Eingeschaltet in den Streit haben sich längst auch Spieler. Noch bevor das Turnier begann, wurde Novak Djokovic auf die Pläne angesprochen, als Grand-Slam-Rekordsieger und Gründer einer Spielergewerkschaft einer der einflussreichsten Aktiven auf der Tour. Er habe mit den Organisatoren des Turniers darüber gesprochen, sagte Djokovic, weil er wissen wollte, was geplant sei. Dann begann er, die Werbetrommel zu rühren: „Ein sehr gutes Projekt“, sei das, sagt der Serbe und zählt die Vorteile auf: Die Qualifikation müsste aus Kapazitätsgründen fortan nicht mehr nach Roehampton ausgelagert werden. Außerdem könnten die Zuschauer die Spieler während des Turniers beim Training beobachten. Beides ist bei anderen Grand-Slams längst Standard. Was er nicht sagt: Mehr Zuschauer könnten kommen. Mit mehr Preisgeld wäre wohl auch zu rechen. Das wäre für alle eine gute Sache. Nur für die Anwohner nicht.
Die beschweren sich darüber, dass der All England Lawn Tennis Club keinen Plan B oder C vorgelegt hätte. Dass jetzt noch einer kommt, scheint ausgeschlossen. In das Projekt ist viel Geld geflossen. Von 64 Millionen Pfund (rund 76 Millionen Euro), die an den angrenzenden Golfklub gezahlt wurden, um das Gelände zu erwerben, berichten britische Medien. Jedes Mitglied soll 85.000 Pfund (rund 101.000 Euro) erhalten haben. Das Land gehört dem AELTC schon. Nur die Genehmigung fehlt noch. Und das ist der Haken.
Der Stadtrat von Merton segnete die Pläne ab, der von Wandsworth stimmte dagegen. Im nächsten Monat wird es deshalb eine Anhörung vor der Greater London Assembly geben, die aus dem Oberbürgermeister und 25 Abgeordneten besteht. Dann muss sorgfältig abgewogen werden, welche Interessen Vorrang haben. Eine Rolle spielen könnte nicht nur, dass das Turnier ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor ist. Der „Telegraph“ berichtet von einer Umfrage des Instituts YouGov, die besagt, dass 59 Prozent der Londoner für und nur acht Prozent gegen das Projekt seien, und schreibt mit Blick auf die Anhörung, die im August stattfinden soll: „Das Ergebnis wird einer der wichtigsten Tage in der 147-jährigen Geschichte von Wimbledon sein.“